Seite 1 von 1

Jetzt spinnt sie: Socken zwischen Mittelalter und Klischee

Verfasst: 17. Dez 2025, 21:53
von Constanze
Wolle war ja lange nicht so mein Werkstoff, weshalb ich auch nie Stricken gelernt und lange nur Kleinzeug gehäkelt habe.

Nun kamen in letzter Zeit ein paar Dinge zusammen: Je älter ich werde desto größer wird der Wunsch, selbst Socken stricken zu können, zudem weiden in unserer Nachbarschaft Schafe, weshalb ich wieder mehr über das Material nachdachte und dann stand es im vergangenen Sommer in einem Trödelladen vor mir: ein augenscheinlich funktionstüchtiges, altes Spinnrad zu einem Spottpreis. :angel:

Das Spinnrad begleitete mit durch Nieselregen und neugierige Blicke im Bus nach Hause, wurde gereinigt, etwas gepflegt und mit einem neuen Riemen versehen. Dann kaufte ich von einem Landwirt in der Ostschweiz 2 kg naturbraune und schwarze Wolle vom Engadinerschaf und erschrak etwas, als einige Tage später ein sehr großes Paket vor der Türe stand (merke: 2 kg gewaschene und gekämmte Wolle sind viieeel). :irr:

Mit ein paar Internet-Tutorials produzierte ich dann das, was man im Fachjargon als schwangere Regenwürmer bezeichnet, ich nenne es liebevoll Effektgarn.Nun stellte ich mir die Frage, was ich mit einem Knäuel naturbrauner, unregelmässiger Wolle anfangen möchte. Sie bediente scheinbar jedes Klischee eines 68er-Ökos.

Mh…Klischee, gutes Stichwort. Was ist dreckigbraun und handwerklich unausgereift? Das Mittelalter! :roar: (Kurzer Disclaimer, um meine Berufsehre zu retten: das stimmt natürlich beides nicht.) Mir fiel eine Socke ein, die man 1961 in Uppsala gefunden hatte. Die Fundumstände geben kaum mehr Anhaltspunkte als mittelalterlich, ein Buch datiert sie vorsichtig auf das 13. Jahrhundert. Ursprünglich aus schwarzer und weisser Wolle, ist sie als archäologischer Fund heute passend erdbraun und den Schnitt fand ich noch interessant, recht kurz mit seitlicher Öffnung.

Stricken konnte ich immer noch nicht, aber diese Socke war nadelgebunden. Den Grundstich hatte ich vor über 15 Jahren mal gelernt, seitdem lag die Holznadel verwaist in der Nähkiste. Und nach kurzen, vergeblichen Versuchen landete sie auch wieder da. Merke: eine quasi unbekannte Technik zu erlernen, die kaum Raum für Fehler lässt und das mit unregelmäßigem Garn in einer dunklen Farbe… :no:

Aber dieses schöne klare Kordelmuster im Stich liess mich daran denken, dass meine frühen Häkelwerke ähnlich aussahen, weil ich bei festen Maschen nicht in beide Schlaufen, sondern nur in die hintere stach. Häkeln kann ich und den Fehler von damals krieg ich auch reproduziert. 8-)



Der Rest war freies Ausprobieren mit ständigem Anprobieren. Ich begann mit einem Oval an den Zehen und häkelte in Runden, zugegeben habe ich jeweils an den Seiten, damit Sohle und Rist möglichst flach bleiben. Die Verse habe ich so gearbeitet wie das Original: Vor dem Knöchel verlässt man seine Runden, sondern häkelt ab einer Seite des Fußes eine Luftmaschenreihe, die um die Rückseite des Fußes herumreicht und dort wieder auf den Rest der Socke trifft, dann häkelt man weiter und hat so quasi eine Socke ohne Ferse, wie eine Yogasocke. Die Ferse wird dann wie eine gewölbte Spirale eingesetzt. Zum Schluss noch der Schaft mit der Öffnung. Hier funktionierte meine Häkeltechnik natürlich nicht mehr, weil ich Reihen häkelte, deshalb ist dort das Muster anders.



Das Ergebnis sind nun braune Socken, die zu dick für sämtliche Schuhe sind, aber als Haussocken durchaus taugen und weniger kratzen als befürchtet.



Einen grossen Nachteil hatte meine Häkeltechnik, denn nur einen Faden aus der vorherigen Reihe aufzunehmen führt natürlich zu einem recht lockeren Maschenbild und insbesondere bei Zunahmen zu sichtbaren Löchern. Sieht man auf diesem Foto recht gut, ausserdem in direktem Vergleich zu ihrer Vorlage:



Wer weiss, vielleicht muss ich nach dieser Klischeekeule meinen Museumsjob wegen Rufschädigung an den Nagel hängen, aber kalte Füsse kriege ich immerhin nicht mehr. :P

Re: Jetzt spinnt sie: Socken zwischen Mittelalter und Klischee

Verfasst: 17. Dez 2025, 22:43
von Bluemoon
Du machst immer so krasse Projekte! :lol: Sehr coole Riesensocken!

Und willkommen am Spinnrad, hat es dich also doch noch eingeholt! :kicher:

Ich habe aus den schwangeren Regenwürmern die erste Reihe meiner Wolldecke gestrickt und kann das sehr empfehlen, weil man dann, fast Quilt-mässig, alle Stationen seines Probierens, Könnens (und Pflanzenfärbens) als nutzbringende Fläche hat. Meine Wolldecke ist wie mehrere Schals, die ich aneinander genæht und heiss gewaschen habe, damit sie auch noch schön dicht verfilzt. Und die Schals sind halt aus verschiedenen Färbungen, von verschiedenen Schafsrassen, verschiedene Zwirnungen (ist das ein Wort?)..was halt so als Spinnrad-Test anfällt und zu schade zum wegwerfen ist, wird ein Teil der Decke.
Sie begleitet mich in kalte Pensionen, das Zelt,...überall, wo eventuell eine Zusatzschicht gebraucht wird, aber man auf der Reise nicht so viel Stauraum für Vielleicht-s verschwenden will.

Re: Jetzt spinnt sie: Socken zwischen Mittelalter und Klischee

Verfasst: 18. Dez 2025, 08:22
von Thalliana
Coole Socken und ich finde, die sehen dem Fund sogar recht ähnlich. Ich weiß nicht mehr, in welchem Stich das Original gearbeitet wurde (glaube er war der Mammen, auf jeden Fall einer der finnischen), aber beim Nadelbinden gibt es einige Stiche, die gehäkeltem sehr ähnlich sehen, das können Leute die mit den Techniken nicht vertraut sind eh kaum auseinanderhalten, von daher geht das denke ich als Replik durch :wink: .

Re: Jetzt spinnt sie: Socken zwischen Mittelalter und Klischee

Verfasst: 18. Dez 2025, 08:23
von chaotic
Coole Socken! Ich finde soche Hausschuh-Socken total gemütlich und praktisch zum in der Wohnung rumlaufen.

Und ja, zwei Kilo Wolle haben viel Volumen. Wenn das alles mal versponnen ist (irgendwann :wink: ) wird es nach etwas weniger aussehen, das kann ich dir aus Erfahrung sagen.