Nähen durch die Jahrzehnte - die 1980er, S. 5

Zur Dokumentation von laufenden Projekten. Zeigt her in Wort und Bild, was ihr gerade näht oder bastelt.

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Constanze
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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1940er, S. 4

Beitragvon Constanze » 15. Okt 2023, 20:44

Es tut mir leid, dass ich euch nicht mehr geantwortet habe, irgendwie war der Wurm drin in meinem Alltag und meiner Psyche. Aber trotzdem habe ich mich sehr über euer Feedback gefreut, vielen Dank. :knuddel:

Eigentlich waren als nächtes Projekt die 1990er angekündigt, aber ich bekomme es nicht auf die Reihe, davon mal ordentliche Fotos zu machen. Aber ein weiteres Projekt aus der Reihe ist ebenfalls schon länger fertig und wurde Donnerstag dann spontan fotografiert. Ich war zunächst nicht sicher, ob ich es tatsächlich hier zeigen möchte, weil ich gleichzeitig noch ein weiteres aus demselben Jahrzehnt im Hinterkopf habe und ich so ein schlichtes Blüschen ein wenig langweilig fand. Aber aktuell komme ich so wenig zu nähen, dass ich beschlossen habe, lieber ein kleines Projekt zeigen als gar keines. Also:

Projekt: Bluse
Schnitt: Beyer's Mode für alle, Schnittbogen
Datierung: Oktober 1941
Stoff: petrolfarbenes Leinen
Musik: Sucht's euch aus, Schlager oder Swing (die Propaganda-Sachen erspare ich euch)
Lys Assia mit »Unter der roten Laterne von St. Pauli«
Glenn Miller »Chattanooga Choo Choo« (In Deutschland vielleicht bekannter als das Original ist die Version von Udo Lindenberg von 1983, Sonderzug nach Pankow).
Amüsanter Wikipedia-Fund: 1941 gewinnt der Musiker Clifford Morris mit dem Lied »Adolf Hitler« einen Calypso-King-Wettbewerb in Trinidad. In diesem wird »austrian jailbird« Hitler auf seine Expansionspläne angesprochen und ihm eine Nachhilfestunde in Geschichte gegeben, was mit Herrschern passierte, die im Laufe der Geschichte das British Empire angegriffen haben.


Den Schnitt habe ich schon länger im Auge, weil er so schön zeitlos wirkt. In der Zeitschrift ist es eine Wollbluse mit halblangem Arm und geknöpftem Einsatz vorne. Die Ärmel sind direkt an die Vorder- und Rückseiten geschnitten und die Schnittteile im Schrägschnitt konzipiert. Das Zusammensetzen der Teile inklusive Unterarmzwickeln war etwas anspruchsvoll, aber dank nummerierter Nahtpunkte ging es doch ganz gut. Die Front wird durch einen trapezförmigen Einsatz geschlossen. Ich war wie immer faul, weshalb die Knöpfe keine Funktion haben, unten am Bund verbirgt sich unter dem Einsatz an einer Seite ein Verschluss, den Rest kann man über den Kopf ziehen. Es sind weniger Knöpfe als in der Anleitung, weil ich diese noch da hatte und sie mir besser gefielen als andere, von denen mehr da waren. Aber es geht meines Erachtens ganz gut.



Beim Bund hat sich ein Fehler eingeschlichen: Ihr seht, er ist recht breit, ich habe die Anleitung missverstanden, dass man ihn doppelt legen solle und dann auf die restliche Länge des Einsatzes die Höhe raffen solle. Das Schnittteil sah so breit aus, dass ich davon ausging, es sei schon die doppelte Höhe. Erst beim Zusammensetzen zeigte sich, dass nun der Einsatz etwas zu lang war und der Bund auch ohne Raffung zu niedrig war. Da ich sowieso nicht mehr genug Stoff hatte, beliess ich es so und kürzte den Einsatz. Die Bluse ist damit jetzt recht kurz, aber auch mit etwas längerem Einsatz und breiterem Bund wäre der Taillenumfang ja nicht weiter gewesen und sie würde mir daher sowieso in die Taille rutschen, wo sie jetzt auch sitzt. Vielleicht ist es so also gar nicht so schlecht, sondern hätte noch mehr aufgetragen, wenn sie länger gewesen wäre.


(Die Farbe wird hier falsch wiedergegeben, ist eher wie die Fotos oben oder unten)

Talking about «auftragen»: Irgendwie mag ich das Ergebnis, irgendwie nicht. Die Bluse wirkt sehr zeitlos, überhaupt nicht wie ein Schnitt aus den 1940ern und sie passt gut. Andererseits tut sie nicht wirklich etwas für mich, sie steht mir nicht übermäßig und erinnert mich an Mode der späten 1980er/frühen 90er oder alternativ eine Kochjacke. Aber sie ist bequem, gut tragbar und vor allem im Sommer sehr angenehm zu tragen. Vielleicht gebe ich dem Schnitt mit einem völlig anderen Stoff noch einmal eine Chance, denn so wie auf dem Foto in der Zeitung finde ich ihn schon sehr schick, vielleicht müssen die Knöpfe auch andere werden und vor allem funktional oder Durchnäher sein, damit sie nicht so blöd herunterhängen. Auf dem Foto unten trag ich sie mit der 1990er-Hose aus diesem WiP und ja, es geht, es sieht nicht schlecht aus, aber ich fühle es halt irgendwie nicht, keine Ahnung, wie ich es besser ausdrücken soll.


(hier sieht man, was passiert, wenn man einer Textilhistorikerin sagt, sie solle auf dem Stuhl mit den alten Stickereien Platz nehmen, ja nicht zu viel berühren. :lol: )
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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1940er, S. 4

Beitragvon Bluemoon » 15. Okt 2023, 21:43

Juhu, die 40ger! :D

Ich kann verstehen, dass du es nicht "fühlst".
Hast du es schon in Tateinheit mit der klassischen Rockform und vor allem nem Hut probiert? Mit deinen kurzen Haaren wirkt der Kopf sonst verschwindend klein; das typische Sanduhrenergebnis fehlt mangels Rock und dadurch gewinnt in der Silouhette der Oberkörper " Übergewicht", fast schon als O-Figur statt X-Figur. :gruebel:
Just my 2Ct.

Bin schon neugierig auf das 2. Teil aus den 1940ern, freue mich aber sehr, dass du auch die Bluse gezeigt hast. :up:
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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1940er, S. 4

Beitragvon Thalliana » 16. Okt 2023, 07:37

Hm, ich kann auch ein bisschen verstehen, das du es nicht so fühlst, irgendwas an der Bluse wirkt unstimmig, ich kann aber auch nicht in Worte fassen was. Vielleicht liegt es daran, dass du einen anderen Stoff verwendet hast, als auf dem Zeitungsfoto, Leinen hat ja schon weniger Stand als Wolle und fällt ja auch anders. Allerdings kann ich deine Wahl durchaus verstehen, für eine kurzärmlige Wollbluse fallen mir nämlich wenig bis keine Trage-Gelegenheiten ein :lol: .
Vielleicht sind es wirklich die herunterhängenden Knöpfe, die das Bild unstimmig machen, das wäre auf jeden Fall einfach zu ändern :).
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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1940er, S. 4

Beitragvon Bluemoon » 16. Okt 2023, 08:30

Edit: was passiert, wenn du die Ärmel testweise einen Tuck hochkrämpelst? Ich weiss, dass die Länge historisch richtig ist, aber viel für die Optik tut sie so nicht.

Edit, weil ich grad drüber gestolpert bin: https://christmas.musetechnical.com/ih. ... 7d686fedd3
Das Mädel oben rechts, sogar ebenfalls in blau und Ärmellänge. Mit Rock, ohne Hut. An ihr wirkt es, finde ich, auch etwas "off". :gruebel:
Zuletzt geändert von Bluemoon am 16. Okt 2023, 11:58, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1940er, S. 4

Beitragvon Amhrán » 16. Okt 2023, 09:24

Thalliana hat geschrieben:
16. Okt 2023, 07:37
Hm, ich kann auch ein bisschen verstehen, das du es nicht so fühlst, irgendwas an der Bluse wirkt unstimmig, ich kann aber auch nicht in Worte fassen was. Vielleicht liegt es daran, dass du einen anderen Stoff verwendet hast, als auf dem Zeitungsfoto, Leinen hat ja schon weniger Stand als Wolle und fällt ja auch anders. Allerdings kann ich deine Wahl durchaus verstehen, für eine kurzärmlige Wollbluse fallen mir nämlich wenig bis keine Trage-Gelegenheiten ein :lol: .
Vielleicht sind es wirklich die herunterhängenden Knöpfe, die das Bild unstimmig machen, das wäre auf jeden Fall einfach zu ändern :).
Mir fallen dazu noch zwei Sachen ein:
Die glänzende Optik der Knöpfe. Im Originalbild sind die doch eher Ton-in-Ton, ich glaube fast, dass die so herausglänzen lässt es in Richtung "Kochjacke" kippen.
Die gerade Kante vom Ausschnitt ist bei dir deutlich weiter weg vom Hals als am Originalbild (und die Ärmel wirken auch weiter). Vielleicht ist dir die Bluse wirklich einfach zu groß geraten? :gruebel:
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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1940er, S. 4

Beitragvon Cyra » 16. Okt 2023, 13:03

Thalliana hat geschrieben:
16. Okt 2023, 07:37
Vielleicht liegt es daran, dass du einen anderen Stoff verwendet hast, als auf dem Zeitungsfoto, Leinen hat ja schon weniger Stand als Wolle und fällt ja auch anders.
Das wäre auch meine Vermutung. Allein von der Fotooptik her würde ich den Leinenstoff als labberig, den Wollstoff als standfest mit gutem Fall einstufen, das ist schon ein gravierender Unterschied.
Auch dürfte die abweichende Verarbeitung des Bundes zu dem Effekt beitragen. Der würde ja bei Verarbeitung nach Anleitung am Einsatz in kleinen Falten liegen, was dann im Vorderteil bei passendem Stoff in locker liegende, größere Falten überginge.
Außerdem sieht man auf dem Foto in der Zeitschrift eine deutliche Kante an der Schulter als ob da eine Naht wäre, mindestens jedoch deutlich ausgeformte Schulterpolster. Kann es sein, dass der Schnitt verschiedene Varianten beinhaltet? Die Modellzeichnung zeigt zweimal eine Vorderseite und die sehen für mich wie verschiedene Varianten aus, die linke ähnelt eher deiner, die rechte der auf dem Foto.

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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1940er, S. 4

Beitragvon Amhrán » 16. Okt 2023, 13:11

Cyra hat geschrieben:
16. Okt 2023, 13:03
[...] mindestens jedoch deutlich ausgeformte Schulterpolster. [...]
Schulterpolster sind im letzten Satz der Anleitung sogar explizit erwähnt. Ja, die würden definitiv einen Unterschied machen!
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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1940er, S. 4

Beitragvon Constanze » 17. Okt 2023, 20:01

Vielen Dank für euer Feedback und eure ganzen Tipps, ich versuche mal, auf alle einzugehen. Vielleicht vorab: mir stehen auch Raglan-Ärmel fast nie, ich mag die Optik von gerundeten Schulter-Arm-Nähten an mir einfach nicht (entweder klassisch eingesetzter Ärmel oder gerade geschnitten wie bei einem Kimono, Raglan geht maximal bei eng anliegenden Oberteilen aus Jersey). Und ich mag keine Blouson-Schnitte, Oberteile, die noch Weite am unteren Brustkorb haben und in der Taille/auf der Hüfte aufsetzen (betrifft Blouson-Jacken, weite Hemden etc.). Beides sind meines Erachtens Schnittdetails, die mir nicht stehen oder die mir an mir nicht gefallen und beide sind in diesem Schnitt enthalten, aber auf dem Foto in der Zeitschrift deutlich weniger sichtbar, liegt entweder am Foto, ihrem Körper oder der gewählten Größe (und den Schulterpolstern, s.u.). Also ob die Verbesserung von Details etwas ändert, wenn mir der grundlegende Schnitt nicht steht, ich weiss nicht. :shrug: Aber der Reihe nach.

Tragweise und Silhoutte: Kombi mit Rock/Hut; Sanduhrfigur; Schulterpolster, kürzere Ärmel

1940er-Jahre-X-Figur würde für mich bedeuten, betonte Schultern und weniger Weite am unteren Brustkorb, die ist hier aber gegeben und bewirkt u.a. diese O-Figur, selbst mit Rock würde das kein X werden, habe ich das Gefühl. Ob die Betonung der Schultern durch Schulterpolster helfen würde, dass es besser aussieht? Vielleicht, nur fraglich, ob ich es dann lieber mag. Mit der blusigen Weite finde ich sie so schon nicht vorteilhaft, nicht sicher, ob ich noch mehr Volumen gut finde. :gruebel: Aber! Gerade noch einmal kontrolliert, weil ich davon ausging, dass es sowieso runde Polster sein müssten (wie bei Raglan-Ärmeln üblich). Doch siehe da, es sind tatsächlich Polster mit Kante angegeben. Ist für mich irgendwie sinnfrei, einen Schnitt ohne Schulternaht zu machen und dann eine Kante mit Polster hinzuzufügen, aber nun gut, das wäre wirklich einen Versuch wert. :yes:

Hut eher nicht, sebst wenn ich im Sommer mal dazu Strohhut trage, kann ja nicht sein, dass es dann kacke aussieht, sobald ich den Hut abnehm. :mrgreen: Aber wenn die Haare wieder länger sind, werde ich mal sehen, ob mehr Volumen auf dem Kopf den Eindruck ändern kann.

Ärmel hochkrempeln wird schwierig, weil der Unterarmkeil bis zum Saum geht. Zudem habe ich den Saum mit Schrägband genäht (weil wenig Stoff und weil das Leinen so dick ist), das Schrägband ist leider Schwarz, wäre also optisch auch nicht so super. Aber ich werde sie mal nach innen einklappen und prüfen, was das an der Optik macht.

Material: Leinen vs. Wolle; herunterhängende Knöpfe

Das Leinen ist relativ fest, daher hatte ich ursprünglich die Hoffnung, dass es funktionieren könnte anstelle von Wolle, aber vielleicht sind die Unterschiede wirklich zu groß, zumal es mit jedem Waschen weicher wird. Die Knöpfe waren vielleicht wirklich nicht die beste Idee, war einfach das, was ich da hatte, ich möchte meine Vorräte ja abbauen. Wäre nachträglich einfach zu ändern, ist nur die Frage, ob sich das angesichts all der anderen Baustellen an dem Projekt lohnt. :lol:

Schnitt: Grösse, Ausschnitt, breiterer Bund
Zu gross fühlt sie sich nicht an, deutlich enger sollte sie wohl nicht werden, sonst würde sie spannen, auch die Ärmel dürften kaum schmaler. Dass der Ausschnitt tiefer ist stimmt, mir gefiel es so hoch oben nicht, das machte es sehr streng. Hatte ich ganz vergessen (sorry, schon ein paar Wochen her, dass ich die genäht habe) und nicht überlegt, dass es Einfluss auf die "unwuchtige" Optik haben könnte.
Der Unterschied zwischen den Modellzeichnungen ist doch nur die Ärmellänge, oder übersehe ich da etwas?
Cyra hat geschrieben: Auch dürfte die abweichende Verarbeitung des Bundes zu dem Effekt beitragen. Der würde ja bei Verarbeitung nach Anleitung am Einsatz in kleinen Falten liegen, was dann im Vorderteil bei passendem Stoff in locker liegende, größere Falten überginge.
Das verstehe ich nicht ganz (oder hast du dich vertippt und meintest Rückenteil?). Der Bund ist nicht durchgehend, sondern schliesst in der Vertikalen mit den Kanten des Vorderteils ab und würde in der Höhe auf 12 cm eingereiht, da wären kleine Falten. Abgesehen von der Einreihung an den vorderen Kanten könnte sich der Bund dann frei entfalten, würde aber – da er in der Taille sitzt – wohl nicht herunterhängen, sondern sich frei in wohl etwas größeren Falten um den Körper legen. Aber der Sitz als solches – Bund in der Taille und darüber die blusig weiten Vorder- und Rückenteile – bleibt doch?

Also, aktuell neige ich dazu, diese Bluse als unvorteilhaftes Sommerteil zu behalten, aber dem Schnitt in Zukunft vielleicht doch noch einmal eine Chance zu geben, mit passenden Knöpfen, Wollstoff und Schulterpolstern. Denn @ Thalliana, doch es gibt durchaus Tragegelegenheiten für kurzärmelige Wollblusen. :mrgreen: Ist ein wenig so wie Daunenwesten: Sie wärmen den Körper und wenn es nicht zu kalt ist, können die Arme viel weniger dick verpackt sein, ohne dass man friert. Hatte schon häufiger kurzärmelige Pullover. Besonders im Herbst habe ich die noch gerne, weil mit langärmeligen Pullovern ist es mir besonders drinnen dann schnell zu warm.
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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1920er, S. 4

Beitragvon Constanze » 19. Nov 2023, 12:30

1920er
Projekt: Bettjacke «Liseuse»
Schnitt: La Mode du Jour, Schemaschnitt
Datierung 24. Juni 1924
Stoffe: taubengrauer Woll-Crêpe
Musik: Ein beliebter Schlager des Jahres 1924 ist bspw. O Katharina. Gleichzeitig sieht das Jahr auch die Uraufführung der bis heute bekannten Rhapsody in Blue. Und mein Lieblingsfund aus dem Jahr: Die Uraufführung eines Balletts von Richard Strauß mit dem Titel «Schlagobers», Beschreibung gemäss Wikipedia: "Eine Gruppe von Kindern feiert ihre Firmung in einer großen Wiener Konditorei und darf sich zur Feier des Tages an den leckersten Torten mit Schlagobers und vielen weiteren Süßigkeiten uneingeschränkt bedienen. Ein Knabe tut dies so ausgiebig, dass ihm schlecht wird und er ein Krankenlager aufsuchen muss. In seinen Alpträumen umtanzen ihn nun Süßigkeiten aller Art aus dem Reiche der Prinzessin Praliné und aus dem Likörschrank." Hach, Zucker :kicher:



Wie schon bei den letzten zwei Projekten - ein Oberteil. Sorry. :shrug:
Der Schnitt stammt aus einem französischen Modejournal. Dieses bot verschiedene Schnitte zum Bestellen an, beigelegt war keiner. Allerdings wurde jeden Monat ein Schnitt verkleinert und mit Maßangaben abgedruckt, man kann sich die Schnitte also recht einfach vergrößern. Zudem gab es Anleitungen für kleinere, einfachere Projekte. Dieses Ding ist eines der Letzteren. Die Idee ist simpel: ein Kreis wird durch Halsausschnitt, zwei Nähte und einen gerafften Saum zu einem Jäckchen bzw. einer Liseuse. Wenn man das Wort heute in einem Wörterbuch nachschlägt, findet man als Übersetzungen Leselampe, E-Book-Reader, Buchhülle, Lesezeichen, irgendetwas mit Büchern in jedem Fall. Wenn man Google jedoch mit der Ergänzung um etwas Textiles fragt, findet man sehr viele Resultate, die sich alle in den Bereich Strickjacke oder Bettjäckchen einordnen lassen. Das passt schon eher, offenbar ist im Bett lesen in Frankreich so gängig, dass es Eingang in die Bezeichnungen gefunden hat. :kicher: Zur Stoffwahl schreibt die Anleitung «Der Stoff richtet sich nach der Nutzung […]: Wenn man es sehr warm benötigt, nimmt man einen weichen Samt oder Molton. Crêpe de Chine und bedruckter Voile ergeben ein sehr elegantes Kleidungsstück das, über einem dunklen oder farblich passenden Rock getragen, eine charmante Bekleidung für das Haus ergibt.»



Als Stoff entschied ich mich für einen grau-blauen Woll-Crêpe, den ich einmal in einem Trödelladen gefunden hatte. Er fällt schön weich und ist wohl vom Fall her mit dem weichen Samt zu vergleichen, der für die wärmere Variante vorgeschlagen wird. Bezüglich der Maße hielt ich mich genau an die Vorlage.



Am aufwändigsten war wie immer alles, was in der Anleitung kaum beschrieben wird. Aus den Zwickeln des zugeschnittenen Kreises konnte ich Schrägband für die Ärmelsäume zuschneiden. Da die Ärmel etwas kurz geraten sind (die Länge entspricht überhaupt nicht der in der Zeichnung, oder die Dame muss sehr kurze Arme haben), fasste ich die Ärmel nicht nur mit dem Schrägband ein, sondern schnitt es so breit wie möglich zu und setzte es als Saum an. Halsausschnitt und Bund sind in geradem Zuschnitt, da sie weder rund noch elastisch sein müssen. Die Öffnung an der Vorderkante habe ich mir geschenkt. Es stand nichts dazu in der Anleitung und das Kleidungsstück ist weit genug, um es über den Kopf zu ziehen. Um die Vorderseite optisch zu markieren und der Modellzeichnung zu entsprechen, habe ich sie mit einem breiten Streifen im Schrägschnitt besetzt.



Wer viel näht, dem kommen wohl bereits beim Anblick der Skizze Fragen, zumindest ging es mir so. Denn die starke Raffung am Saum führt zu einem Oberteil, das eigentlich nicht vorteilhaft sitzen kann, oder? Zudem ist die Bewegungsfreiheit nicht gerade groß, sobald man die Arme hebt, zieht man den Saum an den Seiten hoch und der unvorteilhafte Effekt wird stärker. Aber gut, ist ja eine Bettjacke, da hebt man selten die Arme.



Wer Interesse am Nachnähen hat, hier die gesamte Anleitung noch in besserer Auflösung. Falls die Maße auf dem Foto nicht gut lesbar sind und man kein Französisch kann: Man nehme einen Kreis von 1.20m Durchmesser, in der Mitte schneidet man ein Rechteck von 20cm Breite und 16cm Höhe für den Halsausschnitt. Die Einschnitte für die Ärmel geht 23cm tief und entsprechen einem Winkel von 60° durch die Kreismitte (also einem Drittel des Kreisumfangs bzw. jeweils einem Sechstel). Dann diese Einschnitte wie in der Abbildung zusammennähen (bei derAchsel besser eine kleine Rundung nähen als eine Spitzkehre), wenden und die Kanten nach Wunsch verarbeiten.
Die Anleitung empfiehlt übrigens, die Saumbesätze und den Besatz der Vorderkante bei einfarbigem Stoff in einer Kontrastfarbe zu wählen.



Der Praxistest läuft übrigens gerade, ich hoffe, dass sie zumindest etwas wärmt durch die Wolle. Eigentlich habe ich nämlich schon ein unpraktisches Hausjäckchen mit Trompetenärmeln, das ist aber Kunstfaser, weshalb es nicht so ganz weit oben auf meiner Sympatieliste steht.
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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1920er, S. 4

Beitragvon BeRúThiel » 19. Nov 2023, 13:35

Also ich muss gestehen, dass Hausjäckchen jetzt keine Bekleidungsstücke sind, die ich in irgendeiner Form auf dem Schirm hatte. :lol:
Irgendwie denke ich jetzt aber, dass ich vielleicht auch eines brauchen könnte. Es sieht jedenfalls an der Puppe bequem und schick aus. Wobei es mich mal wieder wundert, wie viel anders die Proportionen sind, als auf der Zeichnung. Da sieht es ja eher lang, schmal und gerade aus (was natürlich mit den Vorgaben gar nicht so wirklich möglich ist). Darüber, dass die Ärmel der Zeichnung länger sind als der Torso brauchen wir ja nicht nochmal reden. Da sieht man mal, wie der Zeitstil auch "technische" Zeichnungen beeinflusst.

Ich drücke jedenfalls die Daumen, dass es den Praxistest besteht!

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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1920er, S. 4

Beitragvon Bluemoon » 19. Nov 2023, 14:22

Cool, ein weiteres Projekt. :D

Hübsch verziert hast du's, und an sich finde ich den Schnitt total spannend.
War erst skeptisch ob des Kräuselns der ganzen Wolle, aber es sieht doch im Ergebnis sehr harmonisch aus.

Wenn man jetzt noch die Arme heben könnte.. :irr:
Warum die technischen Anleitungschreiber der Heimschneiderin keine Zwickel zutrauen, wird mir ein Rätsel bleiben.
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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1920er, S. 4

Beitragvon Florence » 19. Nov 2023, 18:44

Das ist weniger ballonig als ich jetzt gedacht hätte, ausgehend von der Grundgeometrie.
Spannend.

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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1920er, S. 4

Beitragvon Alice* » 19. Nov 2023, 19:24

Was für ein spannender Schnitt! Und jetzt würd ich's natürlich auch gern noch an dir sehen :wink:
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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1920er, S. 4

Beitragvon Zetesa » 19. Nov 2023, 20:04

Hurra, ein neues Projekt. :)
Die Zeichnung und das Schnittmuster passend echt wenig zueinander, die Idee ist aber echt nett.
Und rein von der Idee finde ich ein Bett(lese)jäckchen jetzt auch ziemlich schlau.
Das Prinzip erinnert mich an eines meiner ersten Nähwerke, nur das ich ein Rechteck und keinen Kreis hatte.
Für längere Ärmel würde ich es vermutlich mit einem Oval statt einem Kreis versuchen. :gruebel:


Dein Ergebnis sieht deutlich charmanter aus, als ich vom Schnittmuster erwartet hätte. Ich bin gespannt, was dein Praxistest ergibt.
Unsere tiefgreifendste Angst ist nicht, dass wir ungenügend sind. Unsere tiefgreifendste Angst ist,
über das Messbare hinaus kraftvoll zu sein.
Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, die uns Angst macht.
Marianne Williamson

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Re: Nähen durch die Jahrzehnte - die 1920er, S. 4

Beitragvon horex_4 » 19. Nov 2023, 21:26

Hallo Constanze,

tolle Sachen die du uns zeigst. Ich selbst stehe voll auf Burlesque. Versuche das in unsere Zeit zu übertragen. Und was du uns dabittest zeigt das man es auch tragen kann.

Mein Schatz findet das Jäckchen total cool. Würde ihm gerne so ein Jäckchen nähen. Gibt es die Möglichkeit mir den Schnitt oder die Beschreibung zu kommen zu lassen.

Ansonsten tolle Story, freue mich auf die weiteren Projekte.

LG


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