Fallstudie für Schulung - Probleme mit Korsettfertigung

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Aleatha
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Fallstudie für Schulung - Probleme mit Korsettfertigung

Beitragvon Aleatha » 14. Nov 2016, 11:05

Liebe Nähgemeinde,

ich befinde mich gerade in der Ausbildung zum Six Sigma Black Belt und arbeite an meiner Fallstudie, die zum Bestehen nötig ist. In dieser Fallstudie soll ein Produktionsproblem definiert, mit Zahlen unterlegt und Lösungsstrategien erarbeitet werden.

Nachdem ich selbst wenig Erfahrung im Bereich Produktion besitze, habe ich eine Trachtenfirma erdacht, die nach einem Generationenwechsel auch eine Korsett-Linie ins Leben gerufen hat und nun Probleme mit den Außennähten bei seiner neuen Lack-Korsetts hat. Korsetts aus Taft und Samt werden schon seit Jahren gefertigt.

Ich sitze gerade an den Prozessen, die zum Vernähen der Außenpaneele nötig sind und hoffe auf Rückmeldung von euch, wie ihr ein Korsett gewerblich fertigen würdet bzw. gewerblich fertigt. Die Firma ist Mittelstand, noch keine extreme Massenfertigung und legt eher Wert auf Qualität und nicht auf Quantität.

Ich hätte es jetzt so geplant:

- Stecken Teil 1 auf Teil 2
- Vernähen Teil 1 und Teil 2
- Stecken Teil 2 auf Teil 3 etc.

- Stecken Teil 4 auf Teil 5
- Vernähen Teil 4 auf Teil 5

- Pressen Nähte

- Absteppen Außennaht --> Nacharbeit bei Fehlern

- Vernähen Außenteil (wie heißt das richtig?) mit Futterteil

- Einsetzen Schließe
- Absteppen Schließe

- Absteppen Tunnel für Stahl

- Weitergabe zum Einsetzen der Ösen und Endfertigung

Würdet ihr es in Einzelschritten fertigen oder eine der Näherinnen alle Teile nacheinander vernähen lassen?

Wenn ich komplett daneben liege bitte ich auch um Meldung, je realistischer das Szenario ist desto besser!

Vielen Dank für eure Hilfe und einen Tee für alle

:tee:

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Alice*
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Re: Fallstudie für Schulung - Probleme mit Korsettfertigung

Beitragvon Alice* » 15. Nov 2016, 03:00

Hoffe ich kann dir weiterhelfen, auch wenn ich noch nie ein Korsett industriell gefertigt habe (bitte an die Fachkundigen mich zu berichtigen, wenn ihr eine rationellere Methode habt).

Die Schließe würde ich grundsätzlich als erstes einsetzen, da dies einer der kniffligsten Schritte ist und man mit den Teilen leichter hantiert, wenn sie noch kleiner sind (Kleinteile werden wenn möglich ja auch immer zuerst gearbeitet). Wichtig ist, dass das Schnittteil breit genug ist, dass man bei abgesteppter Schließe den nächsten Teil ansetzen kann, ohne dass es schwierig ist. Wenn dies nicht gegeben ist, würde ich das absteppen nach dem Ansetzen des zweiten Panels machen.

Dann kann die Näherin die Längsnähte im Oberstoff und im Futter eigentlich komplett schließen und ggf auch die Längsabsteppung schon vornehmen. Hier stellt sich vorher die Frage: Wie sind die Tunnel gearbeitet? Sollen sie "durch und durch" gehen, oder zB nur im Futter oder nur im Oberstoff sichtbar sein oder werden gar Bänder über die Nähte gesteppt, die die Tunnel bilden? Werden die Tunnel aus den Nahtzugaben oder aus einem Extra-Bändchen (Schrägstreifen, Köperbändchen oder so) gebildet?
Je nachdem werden sich die nächsten Schritte unterschiedlich gestalten.

Szenario 1 - Tunnel werden aus den Nahtzugaben gebildet:
Da würde ich immer mich Panel für Panel weiterarbeiten. Jeweils Panel bei Oberstoff und Futter ansetzen, NZ auseinander bügeln, dann Kantestepp, dann Tunnelstepp, bis man halt beim letzten Teil mit den Ösen angekommen ist. Das geht allerdings nur, wenn die Tunnel auch im gleichen Verlauf die wie die Nähte sein sollen! Dann würde bei beiden Lagen (Oberstoff und Beleg) an der Ösenkante die Nahtzugabe einbügeln und beides kantig aufeinander steppen, dann den Tunnelstepp und dann die Ösen. Dann die Stäbe einziehen.

Szenario 2 - Tunnel werden aus Bändchen gebildet:
Oberstoff und Futter können separat komplett geschlossen werden und die Bändchen an der passenden Position am Oberstoff außen, am Futter innen oder außen aufgesteppt werden. In diesem Fall können diese sogar über die Naht verlaufen, was manchmal notwendig ist. Als nächstes kann auch das Ösenteil ganz normal längs an der Kante verstürzt werden und die Ösen eingeschlagen. Dann das Futter an die Belegkanten von Schließen- und Ösenteil einstürzen und alles wenden (kann tricky sein, wenn die Taillenweite sehr eng oder die Schließe recht lang ist ---> in diesem Fall dann wieder die obige Methode mit dem Kantigen zusammensteppen an der Ösenkante am Schluss erst machen und das Wenden weglassen). Stäbe jetzt einziehen.

Ich würde glaub ich alles bei einer Näherin machen lassen, außer vielleicht das Einsetzen der Schließe (weil man sonst auf einen RV-Fuß "umrüsten" müsste wegen nur eines Stepps) sowie die Ösen, das kann auch jemand anderer machen, der das perfekt kann, weil er nichts anderes macht. Ein Teflon-Füßchen für alle Näherinnen, die den Lack irgendwie von außen steppen müssen, wäre sicher gut :)

Korrekturen sind in Lack sowieso nur geringfügig möglich, da man ja alle bereits gemachten Stiche sieht :?

Hoffe das hat geholfen - falls Fragen sind, kannst du mich gerne auch per pN anschreiben.

Liebe Grüße und viel Erfolg bei deinem Projekt,
A.
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Re: Fallstudie für Schulung - Probleme mit Korsettfertigung

Beitragvon Lenmera » 15. Nov 2016, 11:56

Genau mein Thema! Diese Sachen durchzuspielen haben wir in der Ausbildung ständig gemacht! :)

Zusätzlich zu Alice fallen mir noch folgende Sachen dazu ein:

Industriell gefertigte Stücke werden nicht gesteckt. Anhand von Nahtzeichen (Knips/Zwick/wie auch immer man es nennen will) zu nähen reicht völlig.

Ich würde folgende Stationen einrichten:
Näherin Oberstoff
Näherin Futter
Näherin Verbindung Futter und Oberstoff
Bügelstation
Endfertigung (Ösen)
Qualitätskontrolle

Wobei das natürlich auch von der Größe der Firma und der Stückzahl abhängt.
Mögliche weitere Gedanken dazu: nicht jede Stelle ist mit nur einer Person besetzt. In welchem Verhältnis funktioniert es am besten ohne Stau? Ist eine zentral organisierte Prüfstelle sinnvoll, die alle Korsetts aller Materialien kontrolliert? Nähen die Futternäherinnen alle Korsettfutter oder nur dieses Modell? Lohnt sich der Einsatz von Automaten?

Gerade wenn deine Firma wert auf Qualität legt, sollte nach jedem wichtigen Schritt eine Qualitätskontrolle stattfinden, zumindest aber nach dem Beenden der Fertigung.

Das Nacharbeiten bei Fehlern im Lack kannst du dir eigenentlich sparen, da das nicht möglich ist.

Das Wort, das du für "Vernähen außen und innen" suchst, ist verstürzen.

Wichtig fände ich auch einen genauen Arbeitsablaufplan in dem du vermerkst wo Füßchen gewechselt werden müssen. Das ist nämlich immer ein Problempunkt und sollte durch verschiedene Nähplätze vermieden werrden.

Das fällt mir spontan zu dem Thema ein, wenn du ein bisschen konkretisierst was das Problem bei den Außennähten ist, dann überleg ich noch ein bisschen mehr.
per aspera ad astra

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Re: Fallstudie für Schulung - Probleme mit Korsettfertigung

Beitragvon Aleatha » 15. Nov 2016, 14:20

Vielen lieben Dank für den Input euch beiden! :knuddel:

Mein Gedanke zu den Nähten war, dass bei der Naht Stiche ausgelassen wurden. Das kann ja passieren, wenn die Nadel zu heiß wird (habe ich mal gelesen). Und das kann bei einer Ziernaht schon zum Ausschuss führen.

Qualitätsmerkmale wären dann die gerade Naht, keine ausgelassenen Stiche. Qualitätsprüfung wäre Sichtprüfung oder fällt dir da noch etwas anderes ein? Eine Messmittelüberprüfung waren dann die Augen der Überprüferin :äh: Ob ich das beim Betriebsrat durchbekomme :shock: :mrgreen:

Der Flaschenhals ist auch eine tolle Idee, da kann ich auf jeden Fall etwas basteln. Es wurde ja schon in der Define Phase bemängelt, dass der Prozess noch nicht effektiv ist.

Ich hätte jetzt folgende Daten erstellt:
- Unterschiedliche Füßchen mit und ohne Obertransport
--> Vermutlich Teflonfuß mit Obertransport die beste Lösung
- Unterschiedliche Garne verschiedener Hersteller
- Unterschiedliche Nadeln (Ledernadel sollte passen, oder?)
- Unterschiedliche Fadenspannung bei verschiedenen Bereichen des Korsetts (ist das realistisch?)

Den Prozess auf Flaschenhälse durchleuchten

Nähstationen Lack durchleuchten, eventuell Schulungen durchführen lassen

5S Arbeitsplatzorganisation, Laufwege verringern

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Re: Fallstudie für Schulung - Probleme mit Korsettfertigung

Beitragvon Lenmera » 15. Nov 2016, 23:54

Stiche ausgelassen...
Nadel defekt, Greifer defekt, Transport defekt sind so die ersten Dinge, die mir einfallen.

Qualitätsprüfung wäre eine Sichtprüfung. Überprüfung des Messmittels wäre dann eine Kontrolle der Ergebnisse, nicht der Augen :wink:

Beim Obertransport wäre ich vorsichtig. Manche Vorrichtungen können Spuren am Lack hinterlassen.

Unterschiedliche Garnhersteller würde ich (bei gleicher Qualität) vernachlässigen. Aber verschiedene Garnstärken wären interessant.

Unterschiedliche Spannungen sind eher unrealistisch. Was willst du damit erreichen?

Ledernadeln würde ich auf keinen Fall nehmen! Das schneidet viel zu große Löcher.


Was mir allgemein auffällt:
Du scheinst weder mit Lack noch mit Korsetts große Erfahrung zu haben. Da schleichen sich sehr leicht gravierende Fehler ein, wenn man sich nur theoretisch damit auseinandersetzt. Wie wäre es, wenn du mal ein Lackkorsett nähen würdest um Erfahrungen zu sammeln und deine Theorien zu testen?
per aspera ad astra

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Re: Fallstudie für Schulung - Probleme mit Korsettfertigung

Beitragvon Aleatha » 16. Nov 2016, 09:28

Korsetts habe ich bereits einige genäht und Lackkorsetts eines. Daher kam ja die Idee, ich habe geflucht wie ein Rohrspatz weil ich genäht habe und plötzlich Stiche ausgelassen wurden. Und ich das Problem bei gleichem Schnitt nie mit einem normalen Korsett hatte (nähe mit einer Pfaff, die ist superbrav).
Hab erst später gelesen, dass man wohl aufpassen muss dass die Nadel nicht zu heiß wird. Das wiederum habe ich noch nicht ausgetestet.

Obertransport hinterließ damals vernachlässigbare Spuren. Rollfuß ging gar nicht wegen der Spuren auf dem Lack.

Ich brauche halt nur unterschiedliche Parameter, eine Voraussetzung für das Six Sigma Projekt ist, dass die Ergebnisse messbar sind. Und wenn das Ergebnis ist dass es keinen signifikanten Einfluss hat, umso besser. Dann kann ich es nämlich direkt ausschließen. Daher die Oberfadenspannung und eventuell die Nadel. Wollte es nur abklären.

Du musst ja auch davon ausgehen, dass die Prüfer die Methode bewerten und nicht, ob das Ergebnis zu 100% der Realität entspricht. Denn ich gehe nicht davon aus, dass bei den Leuten dort ein Lack- bzw. Korsettspezialist sitzt. Dennoch möchte ich für mich möglichst nahe an der Realität sein aber die Spuren auf dem Lack beim Obertransport wären ein Punkt, den ich z.B. unterschlagen würde oder halt bei der Besprechung der Graphen anmerken. Hier geht es erst einmal um die reinen Daten und da brauche ich eine Abstufung der Ergebnisse, damit ich die Daten generieren kann.

Bei der Messmitteluntersuchung wird tatsächlich das Messmittel untersucht. Und bei einer reinen Sichtprüfung ist das der Prüfer. Mann und ich haben uns überlegt, dass wir es im Labor optisch prüfen lassen. Das ist zwar komplett übertrieben aber so kann ich normalverteilte Daten generieren und sie gegeneinander auftragen. Und eine bessere Messmittelüberprüfung machen, einen kleinen Bias einbauen. Ein Traum :mrgreen:

Normalerweise machst du den Black Belt aus einer Firma heraus. Mit richtigen Daten. Das wäre auch deutlich einfacher *seufz*

Bei den Prozessen wiederum ist es wichtig, möglichst exakt zu arbeiten. Werde mir jetzt Zeiten für die jeweiligen Stationen überlegen und sie gegeneinander stellen. Und dort versuchen, eine Optimierung herauszuarbeiten.

Aber jetzt setze ich mich erst mal hin und lerne weiter die ISO 9001 auswendig :x

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Re: Fallstudie für Schulung - Probleme mit Korsettfertigung

Beitragvon MadebyMyri » 21. Nov 2016, 18:55

Hoi

Bei der Qualitätsprüfung solltest du auf mehrere Stufen achten (oft in der Industrie auch Regelkreise genannt) ..kannst du gut bei deinen Korestts umsetzen:
1. Selbstkontrolle der Näherin. Wärst du jetzt im Iso Bereich unterwegs hiesse das Arbeitsanweisung mit Nähschritten plus Zeitangabe für Nähen plus Kontrolle
2. Kontolle an Schlüsselstellen durch Näherinnen oder dritte.
3. Finale Abnahme ("Sicht des Kunden")

Du kõnntest mit Checkliste zum Abhaken arbeiten mi Bildern ok nich ok. Ausserdem könntest du eine Massstabtabelle zum regelmässigen Nachmessen diverser Messpunkte (z.b. Breite Nahtzugaben oder Abstand Steppnähte) verwenden.
Ausserdem solltest du eine Fehlerklasse haben.nicht alle Fehler werden von allen Kunden erkannt und moniert.

Korsetts nähe ich nicht so viele aber QM ist mein Job ...dürfte ich deine Studie wenn sie fertig ist mal lesen?
mein Blog ist wiederbelebt und ich werde zukünftig dort Tutorials und Schnittmuster für Kinderkram veröffentlichen
http://le-saucisson.blogspot.fr/

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Re: Fallstudie für Schulung - Probleme mit Korsettfertigung

Beitragvon Aleatha » 21. Dez 2016, 18:37

Sooo,

sorry für die lange Abwesenheit, die Freizeit während der Schulung hielt sich stark in Grenzen.

Fallstudie wurde erfolgreich abgeschlossen und genehmigt. Der Zeit geschuldet musste ich einiges vereinfachen und nicht alles ist nähtechnisch sinnvoll.

@madebymyri: Ich kann es dir gerne schicken, gib mir einfach deine Email

Danke für eure Hilfe

:knuddel:


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